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Die Europäische Wirtschaft: Aktuelle Lage und Perspektiven für die Zukunft

Vortrag Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Institut - IPV Akademie Jahrestagung 2017

 

Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Institut gab den Teilnehmern der IPV Akademie Jahrestagung einen fundierten Einblick in die Wirtschaftslage Europas im Herbst 2017

Deutschland bewegt sich in Richtung eines Konjunkturbooms

Er führte aus, dass Deutschland sich in Richtung eines Konjunkturbooms bewege. Dabei beleuchtete er auch die Frage, ob sich am deutschen Immobilienmarkt schon eine Blase bilde. Dies sei aber noch nicht der Fall. Gerade auch durch den moderaten Anstieg der Kreditexpansion befänden wir uns noch nicht in einem Immobilienboom. Die Situation sei  nicht vergleichbar mit der Privatverschuldung in den USA im Rahmen deren Immobilienbooms im Jahr 2008. Sollte es jedoch tatsächlich zu einer Blasenentwicklung in Deutschland kommen, sei diese aber schwer, ja fast unmöglich zu stoppen. Prof. Dr. Fuest stellte auch fest, dass wir kein gutes Jahr für Sparer haben. Der Realzins sei negativ und dies beeinflusse den notwendigen Aufbau einer Altersversorgung. Positiv hingegen entwickele sich das Wirtschaftsklima im Euroraum. Dies werde die deutsche Wirtschaft weiter antreiben.

Wirtschaftliche Herausforderungen für die neue Bundesregierung

Prof. Dr. Fuest ging im weiteren Verlauf seines Vortrages auf die wirtschaftspolitischen Herausforderungen für die neue Bundesregierung ein. Die Debatte zur  fehlenden Gerechtigkeit in Deutschland sei dabei eine typisch deutsche Debatte, die sehr emotional und durch das anfeuern durch die Medien alarmistisch geführt werde. Die Debatte werde oft anhand von Einzelfällen geführt. Aufgrund folgender Faktoren fällt es Herrn Prof. Dr. Fuest jedoch schwer, eine fehlende Gerechtigkeit in Deutschland festzustellen. So sei im Vergleich der G7 Länder die Ungleichheit verfügbarer Einkommen in Deutschlands am niedrigsten. Die Lohnunterschiede seien in den letzten 10 Jahren in Deutschland nicht weiter angestiegen und die Lebenszufriedenheit, der für Prof. Dr. Fuest wichtigste Faktor, sei in den letzten 10 Jahren in Deutschland stetig gewachsen.

Auch über den bevorstehenden Brexit gab Prof. Dr. Fuest den Teilnehmern eine Einschätzung. Für die Briten käme es durch den Brexit zu einer Verlangsamung des Wachstums, aber wohl nicht zu einem massiven Einbruch. Die Anteile der Wertschöpfungsexporte am BIP von Deutschland und dem Vereinigten Königreich seien mit 1Prozent und 0,6 Prozent relevant, aber überschaubar. Die deutsche Wirtschaft sei stark diversifiziert und der Handel mit den Briten werde durch den Brexit nicht verschwinden. Allerdings stelle der Brexit die Unternehmen vor große Fragen und Aufgaben. Bis Herbst 2018 müssten die Verhandlungsergebnisse auf dem Tisch liegen, damit genug Zeit für Ratifizierung bleibt. Die Unternehmen müssten dann bis zum Frühjahr 2019  handeln und sich anpassen. Prof. Dr. Fuest sprach sich daher für eine längere Übergangszeit aus, in der die aktuellen Bedingungen weiter gelten. Ein Freihandelsabkommen wäre  aus seiner Sicht für alle Beteiligten das Beste. Höhere Kosten werde es für den Handel geben, aber ein umfassendes Freihandelsabkommen könnte den Schadne für beide Seiten begrenzen.

Zu den USA führte Prof. Dr. Fuest aus, dass ein Handelskrieg mit der EU nicht wahrscheinlich sei. Grund dafür sei, dass bei einem Rückzug der USA auf die eigenen Märkte der Export Deutschlands in der Welt weiter steigen werde. Für die USA sei ein Handelskrieg wirtschaftlich viel nachteiliger als für Deutschland bzw. die EU. Durch zu erwartende Einkommensverluste von bis zu -7 Prozent des BIP drohe den USA im Falle eines Handelskrieges eine massive Rezession und daran könne auch Präsident Trump kein Interesse haben. Dies wäre kein guter Deal für die USA.

Prof. Dr. Fuest ging auch auf den Vorwurf anderer Staaten ein, der deutsche Leistungsbilanzüberschuss schade der Weltwirtschaft. 2001 war die Bilanz hier noch ausgeglichen. Seitdem erwirtschafte Deutschland  Jahr für Jahr einen Leistungsbilanzüberschuss. Im Jahr 2016 betrug dieser über 8 %. Wesentlicher Grund dafür seien die Ersparnisse des Staates und der Unternehmen durch die niedrigeren Finanzierungskosten und auch durch sinkende Rohstoffpreise. Deutsche Unternehmen investierten ihre Ersparnisse zu einem großen Teil im Ausland und erwürben dadurch Ansprüche im Ausland.

Auch die Behauptung, die deutsche Wirtschaft habe eine Investitionslücke sei in den Zahlen nicht zu erkennen. Sinkende Zahlen für öffentliche Nettoinvestitionen  seien vor allem auf die Abschreibungen für Investitionen im Rahmen des Aufbaus Ost begründet. In Deutschland sei kein Trend  einer sinkenden Investitionsbereitschaft zu sehen, anders aber in Italien, Großbritannien und USA. Dort seien seit 2005 die Investitionen massiv gesunken.

Ein wesentliches Wachstumshemmnis in Deutschland sieht Prof. Dr. Fuest durch den demographischen Wandel. Gerade die öffentlichen Finanzen seien nicht nachhaltig, eine Konsolidierung überfällig. Der Demographische Wandel sei eine Rechtfertigung zum Sparen. In anderen Ländern hingegen sei die demographische Situation eine andere. Daher lägen die Zukunftsmärkte nicht in erster Linie in Deutschland. Die alternde deutsche Gesellschaft müsse daher  ihr Kapital nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland investieren.

Prof. Dr. Fuest stellt fest, dass der Exportüberschuss Deutschlands die Bundesrepublik zwar nicht selber schädige, aber die Kritik aus dem Ausland uns Probleme bereite. Durch die Drohung mit Protektionismus könnten einzelne Wirtschaftszweige betroffen sein. Eine wachsende Gläubigerposition wird die Schuldner Gründe suchen lassen, um ihre Verbindlichkeiten nicht zurückzahlen zu müssen. In der EU gilt die Regel, dass ein Leistungsbilanzüberschuss nicht über 6 Prozent des BIP liegen solle. Daher müsse Deutschland nicht wegen Investitionslücken Maßnahmen einleiten, um mehr Stabilität im Inland zu erzeugen, sondern in erster Linie aus politischen Gründen. Der Staat könnte zur Verringerung des Leistungsbilanzüberschusses mehr Investitionsanreize für Privatpersonen und Unternehmen schaffen. Die Wirtschaft und privaten Haushalte würden dann stärker im Inland investieren und so den Leistungsbilanzüberschuss verringern.

Die Zukunft der EU und der Eurozone

Die Zukunft der EU und der Eurozone hänge entscheidend von der wirtschaftlichen Entwicklung in Südeuropa, vor allem in Italien ab. Das Ziel der EU, eine Konvergenz der Prokopfeinkommen zu erreichen sei sehr weit weg. Vielmehr gäbe es einen fundamentalen Trend zur Divergenz. Dies gründe sich auf strukturelle Probleme und könne eine große Gefahr für Europa darstellen. So gäbe es einen langfristigen Trend des Produktivitätsverfalls in Italien. Produktivität sei aber die Grundlage des wirtschaftlichen Wohlstandes. Deutschland bewege sich da im Gleichlauf mit Frankreich und Großbritannien. Prof. Dr. Fuest stellte die Frage, woran es liegt, dass Italien bis Anfang der 1990er Jahre eine ähnlich positive Entwicklung der Produktivität wie die anderen europäischen Länder hatte und seit nun fast 25 Jahren die Arbeitsproduktivität stagniere? Zwar läge das in der nationalen Verantwortung, aber es gäbe seit Einführung des EURO Gewinnerländer, die sich im Norden der EU befinden und Verliererländer, die im Süden der EU. In Italien seine so die Einkommen seither um 7 Prozent gesunken, in Deutschland demgegenüber um 20 Prozent gestiegen.

Obwohl es sich um eine nationale Verantwortung handele, schauten viele nach Deutschland und verlangten, eine gemeinschaftliche Haftung für die entstandene Verbindlichkeiten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron möchte die Einrichtung eines eigenen Budges der Eurozone und die Kontrolle durch ein Parlament und einen Eurozonen Finanzminister erreichen. Aktuell entstünde vor allem durch Staatsanleihenkäufe der EZB  Europäische Zentralbank eine wachsende Gemeinschaftshaftung. Dadurch sei in der Eurozone ein System geschaffen worden, indem Haftung und Kontrolle getrennt sind. Bildlich gesprochen haften die Euro-Staaten wir durch die Ausgabe einer gemeinsamen Kreditkarte. Die damit getätigten Ausgaben in Europa würden aber nicht gemeinsam überwacht. Aktuell belaufen sich zum 31. August 2017 allein die sogenannten Target-Forderungen Deutschlands auf 853 Mrd. EURO.

Ein weiteres Beispiel für fehlende Kontrolle seien die Verstöße gegen die 3 Prozent Defizitregel. Es gäbe bis heute keine Konsequenz für die bislang europaweit 168 Verletzungen des Defizit-Kriteriums. Brüssel habe in allen Fällen beide Augen zugedrückt und keine Sanktionen aufgrund der Verletzung des Stabilitätspaktes verhängt.

Durch eine Reform der Eurozone in Form verstärkter demokratischer Kontrolle auf europäischer Ebene im Rahmen eines Eurozonen-Parlamentes würde nach der Auffassung von Prof. Dr. Fuest keine bessere Kontrolle entstehen. Bestimmen würden die Mehrheiten, und Frankreich wäre aufgrund der stark zersplitterten Sitzverteilung in der Medianposition, wenn man die Pro-Kopf-Einkommen zu Grunde legt, und insofern die entscheidende Kraft für die Bildung einer Mehrheit. Frankreich hätte in diesem Parlament die größte Gestaltungsmacht.

Die neue Bundesregierung sollte anstelle dessen die Weiterentwicklung der Bankenunion vorantreiben, die Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten für ihre Staatsfinanzen betonen, ohne Staaten wie Italien dabei in den Ruin zu treiben. Es sollte verhindert werden, dass Steuerzahler anderer Länder Schulden bezahlen müssen. Die Eurozonen-Länder sollten sich erst konsolidieren, bevor über eine Erweiterung der Währungsunion nachgedacht würde. Die in diesem Zusammenhang von EU-Präsident Jean-Claude Junker getätigten Aussagen zur Erweiterung der Eurozone seien laut Prof. Dr. Fuest eher strategischer Natur.

Fazit

Prof. Dr. Fuest schloss seinen Vortrag mit einem positiven Fazit. Die Folgen des Brexit werde die deutsche Wirtschaft und die deutschen Arbeitnehmer treffen, aber die Kosten seien begrenzt. Einbußen in Deutschland von geschätzten 10 Mrd. EUR wären signifikant, aber tragbar. Die Erholung der Konjunktur in Europa werde den Boom in Deutschland weiter vorantreiben. Eine Blase am Immobilienmarkt sei aber (noch) nicht zu sehen. Da es sich um einen schlechten Deal handeln würde, werde auch Präsident Trump keinen Handelskrieg ausfechten. In Fragen des Leistungsbilanzüberschusses werde Deutschland aus politischen Gründen etwas tun müssen. Der EU drohe Gefahr durch die wachsende ökonomische Divergenz. Eine wachsende Gemeinschaftshaftung in der Eurozone drohe zudem bei erodierender Kontrolle. Eine Reform der Eurozone u.a. im Rahmen eines Eurozonen-Parlamentes könne hingegen nicht die Lösung sein. Die Eurozone müsse mit einer glaubwürdigen Stärkung nationaler Verantwortung in der Wirtschafts- und Fiskalpolitik dagegenhalten.

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest
Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest Präsident, ifo Institut - Leipzig-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e .V.