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Interview mit Professor Dieter Kempf

IPV-Vorstand Veit Oos im Gespräch mit Professor Dieter Kempf, Präsident des BDI

Professor Kempf ist seit 1. Januar 2017 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Von der BDI-Mitgliederversammlung wurde er am 28. November 2016 in das Amt gewählt. Professor Dieter Kempf wurde im Januar 1953 in München geboren. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre von 1973 bis 1978 in München arbeitete er von 1978 bis 1991 bei Arthur & Young, heute Ernst & Young, seit 1989 als Partner (Geschäftsführer und Mitgesellschafter). Anschließend stieg er 1991 bei der DATEV eG in Nürnberg als Mitglied des Vorstands ein, verantwortlich für die Ressorts Produkt- und Softwareentwicklung. Ab 1992 war er stellvertretender Vorsitzender des Vorstands, ab 1996 bis März 2016 Vorstandsvorsitzender. Professor Kempf führte von 2011 bis 2015 als Präsident den BDI-Mitgliedsverband Bitkom (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.). In dieser Zeit war er auch Vizepräsident des BDI. Professor Kempf engagiert sich in verschiedenen Aufsichtsräten und Beiräten. Seit 2005 ist er Honorarprofessor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Oos: Wie steht die deutsche Wirtschaft im Wahljahr 2017 da?

Kempf: Im laufenden Jahr wird die deutsche Wirtschaft nach unseren Erwartungen um rund eineinhalb Prozent wachsen. Die Zahl der Beschäftigten erreicht einen neuen Rekord. Wir gehen davon aus, dass bis zu 500.000 weitere Jobs entstehen.

Oos: Wie steht es um die Exportaussichten für die deutsche Wirtschaft?

Kempf: Die Exportaussichten haben sich für den Moment verbessert. Das liegt vor allem an den Schwellenländern, deren konjunkturelle Aussichten sich aufhellen. Insgesamt werden die deutschen Exporte im neuen Jahr um zwei bis drei Prozent zulegen. Ein großer Unsicherheitsfaktor sind natürlich die USA. Ein Abschottungskurs Amerikas würde der gesamten Weltwirtschaft und insbesondere der exportorientierten deutschen Wirtschaft enorm schaden. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab – bei uns in der Industrie sogar jeder zweite.

Oos: Welche konkreten Forderungen richtet der BDI an die bundesdeutschen Parteien vor der Bundestagswahl?

Kempf: Deutschland muss mehr Wirtschaft wagen. Ehe wir hierzulande Wohlstand verteilen, müssen wir ihn alle gemeinsam erwirtschaften. Ein zentrales Thema: Deutschland muss mehr investieren. Dabei geht es darum, die öffentlichen Investitionen zu steigern und die Bedingungen für private Investitionen zu verbessern.

Oos: Ein Thema, das viele Menschen bewegt, ist die Flüchtlingspolitik. Welche Chancen, welche Hindernisse tun sich langfristig für die deutsche Wirtschaft hinsichtlich der Integration von Flüchtlingen auf?

Kempf: Die größten Hürden für eine Einstellung sind immer noch unzureichende Sprachkenntnis und der Mangel an formalen Qualifikationen. Vorrangig für die Wirtschaft sind eine flächendeckende Sprachförderung und die Ermittlung der Kompetenzen der Neuankömmlinge. Mit schnellen Erfolgen konnte niemand rechnen.

Oos: Lösen die Flüchtlinge unseren Mangel an Fachkräften?

Kempf: Es war von Anfang an klar, dass die Migration von Flüchtlingen kein Ersatz für eine gesteuerte Zuwanderung ist. Noch immer herrscht in vielen Branchen ein Mangel an Fachkräften. Das Problem lässt sich selbst durch eine bessere Integration von Flüchtlingen nicht rasch lösen. Gesteuerte Zuwanderung könnte das Problem zumindest entschärfen.

Oos: Herr Kempf, angesichts Ihrer Vita personifizieren Sie ja das Thema Digitalisierung. Ihre Wahl zum BDI-Präsidenten ist wohl Programm. Was ist für Politik und Wirtschaft zu tun, um die Digitalisierung zum Erfolg zu führen?

Kempf: Wir Europäer müssen einen funktionierenden digitalen Binnenmarkt schaffen. Europa braucht die enge Vernetzung von Industrie, Sicherheitsbehörden und Forschung. Um Cyberangriffe abzuwehren, müssen Staat und Wirtschaft die IT-Sicherheit stärken. Notwendig ist eine bessere digitale Infrastruktur. Das Ziel der Bundesregierung, 2018 eine deutschlandweite Versorgung mit 50 Megabit pro Sekunde zu erreichen, reicht nicht. Bis 2025 müssen Gigabit-Infrastrukturen im Fest- und Mobilfunknetz flächendeckend bedarfsgerecht verfügbar sein. Und wir müssen reden.

Oos: Was meinen Sie damit?

Kempf: Vielen Menschen macht die rasante Geschwindigkeit der Digitalisierung Angst. Wir müssen die Bedenken der Bevölkerung intensiv diskutieren. Zugleich halte ich es für wichtig, die Chancen und positiven Seiten der Digitalisierung stärker hervorzuheben. Auch das hilft, die Akzeptanz in der Gesellschaft zu erhöhen.

Oos: Wie gut sehen Sie den deutschen Mittelstand für die digitale Transformation gerüstet?

Kempf: Ganz gut, aber nicht perfekt. Mittelständischen Unternehmen fehlen häufig die finanziellen Mittel, um in digitale Technologie zu investieren. Die in vielen Industriestaaten bewährte steuerliche Forschungsförderung würde Freiräume für digitale Projekte schaffen. Außerdem brauchen gerade kleinere Unternehmen eine passende Unterstützung bei den oft teuren Investitionen in Datensicherheit.

Oos: Die Zukunft und Chancen der deutschen Wirtschaft hängen auch von anderen Faktoren ab. Die Energiewende ist einer davon. Sind wir da auf dem richtigen Weg?

Kempf: Wir brauchen dringend eine Kostenbremse bei der Energiewende. Die schwierigste Phase liegt nicht hinter uns, sie steht uns erst noch bevor. EEG-Umlage und Netzentgelte steigen in den kommenden Jahren weiter. Das macht Strom teurer und unsere Unternehmen weniger wettbewerbsfähig. 40 Prozent der von uns jüngst befragten mittelständischen Unternehmen sehen in teurerer Energie den größten Risikofaktor für ihre Arbeit.

Oos: Was ist zu tun?

Kempf: Es sind noch viele Schalter umzulegen, um aus der Energiewende einen Exportschlager zu machen. Die Politik muss den europäischen Energiebinnenmarkt stärken, den Netzausbau kostenbewusst voranbringen, mehr Markt in die Förderung erneuerbarer Energien bringen.

Oos: Wie sollte sich die deutsche Industrie gegenüber dem immer noch großen Unbekannten in der internationalen Wirtschaftspolitik, Donald Trump, verhalten?

Kempf: Wir müssen analysieren, wie Trumps konkrete Politik aussieht. Die Auswirkungen werden für jedes Unternehmen unterschiedlich sein. Unsere Aufgabe ist, Orientierung zu geben. Die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen sind sehr tief und stabil. Trumps bisher bekanntes Programm ist mit vielen Risiken verbunden, vor allem, wenn Protektionismus Einzug hält und Mauern hochgezogen werden. Übrigens werden viele unserer Unternehmen in den USA als amerikanische Unternehmen wahrgenommen. Sie sehen die USA als Heimat, sind in einigen Regionen wichtigste Arbeitgeber. Ich erwarte, dass unsere Anliegen dort Gehör finden. Schließlich leisten deutsche Unternehmen eine Menge, um Jobs in Amerika zu schaffen.

Oos: Was bedeutet die Wahl Trumps für die Chancen auf das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP)?

Kempf: Die Gründe für TTIP sind weiterhin gültig: TTIP setzt Wachstumsimpulse auf beiden Seiten des Atlantiks, stärkt die Chancen unserer Unternehmen im weltweiten Wettbewerb, baut Bürokratie in den transatlantischen Wertschöpfungsketten ab. Insgesamt entstehen fortschrittliche Regeln für die Globalisierung – je eher, umso besser.

Oos: Mit welchen Konsequenzen muss die deutsche Industrie in der Zeit des Brexits rechnen?

Kempf: Für die Unternehmen kommt es auf Rechtssicherheit und Transparenz in der Neuordnung der Beziehungen zum Vereinigten Königreich an. Es muss allen klar sein: Der Schlüssel für Wachstum und Beschäftigung in Europa liegt in der EU. Die EU muss ihre Einheit gegenüber dem Vereinigten Königreich demonstrieren. Wir als Industrie bleiben geschlossen für klare neue Regeln zwischen EU und Vereinigtem Königreich.

Oos: Insbesondere unsere Branche, die Lebens- und Krankenversicherer und deren Kunden, sind stark von dem dauerhaften Niedrigzins betroffen. Wie belastend empfinden Sie inzwischen die lang andauernde Phase des billigen Geldes?

Kempf: Die betriebliche Altersversorgung wird teurer, Liquiditätsüberschüsse erzielen nur noch magere Renditen. Zudem schwächt der hohe Margendruck die Fähigkeit der Banken, der Realwirtschaft ihre Dienste auch in Zukunft in vollem Umfang anzubieten. Auch wenn es in vielen Unternehmen wegen sinkender Finanzierungkosten positive Effekte der Niedrigzinsen gibt, dürfen diese kein Dauerzustand sein. Sie lösen nicht die Probleme in der EU.

Kempf: Jetzt sind die nationalen Regierungen am Zuge. In mehreren Euroländern engen faule Kredite in den Bankbilanzen den Spielraum für Neukredite ein, hier besteht dringender Handlungsbedarf. Die Geldpolitik braucht Unterstützung durch nachhaltig finanzierte öffentliche Haushalte und mehr öffentliche Investitionen.

Oos: Bleiben wir bei dem Problem. Vehement von der Niedrigzinsphase sind die kapitalgedeckten Versorgungssysteme betroffen. Wie stehen Sie zu der vereinzelt erhobenen Forderung, die Kapitaldeckung zugunsten der staatlichen Rentenversicherung zurückzuschrauben?

Kempf: Das wäre nur eine Scheinlösung. Es ist unübersehbar, dass auch die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung vor großen Herausforderungen steht – vor allem angesichts der demografischen Entwicklung mit immer weniger Beitragszahlern und immer mehr Rentnern. Die gesetzliche Rente bleibt eine tragende Säule der Alterssicherung, reicht aber allein für die meisten nicht mehr aus. Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung zu kombinieren könnte die vorhandenen Risiken besser ausgleichen.

Oos: Ein Lösungsweg in der betrieblichen Altersversorgung ist das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales ins Spiel gebrachte Sozialpartnermodell. Dabei soll es ausschließlich den Tarifparteien möglich sein, eine betriebliche Altersversorgung als reine Beitragszusage auszugestalten. Was halten Sie davon? Kann das geplante Gesetz tatsächlich zur Stärkung der Betriebsrenten beitragen?

Kempf: Die Idee, die betriebliche Altersversorgung als reine Beitragszusage auszugestalten, ist erst einmal richtig. Damit könnte die betriebliche Altersversorgung attraktiver werden, weil die Arbeitgeber für die Leistungen nicht mehr haften müssen. Allerdings ist die Beschränkung auf rein tarifvertragliche Lösungen kontraproduktiv. Wenn die Bundesregierung die Beitragszusage für ein wirksames Instrument hält, die betriebliche Altersversorgung auszubauen, dann sollte dieses generell genutzt werden können.

Oos: Wird das Ziel, kleine Firmen in die betriebliche Altersversorgung einzubinden, nicht dadurch verfehlt, dass die Beitragszusage nur auf tariflicher Grundlage gewährt wird?

Kempf: Die bisher vorgelegten Vorschläge greifen hier in der Tat zu kurz. Viele kleine und mittelständische Unternehmen sind gar nicht tarifgebunden. Zwei unterschiedliche Betriebsrentensysteme – „klassisch“ und „neu“ im Tarifmodell – würden die betriebliche Altersversorgung nicht einfacher machen. Positiv ist, dass die Bundesregierung die steuerliche Förderung insgesamt verbessern will. Dabei beschränkt sie den Blick bisher jedoch auf den Arbeitnehmer.

Oos: Und was ist mit den Unternehmen?

Kempf: Auch die Unternehmen stehen vor handels- und steuerrechtlichen Problemen. Zwar wurde der Abzinsungssatz für Pensionsrückstellungen in der Handelsbilanz kürzlich angepasst. Jedoch überfällig ist die Anpassung in der Steuerbilanz. Dieser Abzinsungssatz ist von der bis auf Weiteres absehbaren Zinsrealität weit entfernt.

Erstellt: Geschäftsbericht 2016