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Alterssicherung neu gedacht: Betriebliche Altersversorgung im Wechselspiel staatlicher und privater Vorsorge

Vortrag von Prof. Dr. Gregor Thüsing - Jahrestagung der IPV-Akademie 2018

Die betriebliche Altersversorgung habe eine Zwitterstellung zwischen den beiden Welten, der staatlichen und der privaten Vorsorge.  Dies zeige sich in der historischen Entwicklung und vielleicht auch in zukünftigen Perspektiven. Daher müsse man sich Gedanken über die betriebliche Altersversorgung insgesamt machen, meinte Prof. Dr. Gregor Thüsing bei seinem Vortrag zur 10. Jahrestagung der IPV-Akademie.

Hierfür warf er  zunächst einen Blick zurück ins Jahr 1769 und zur Gründung der obligatorischen Bruderbüchse in saarländischen Bergwerken. Schließlich könne man die Zukunft nur verstehen, wenn man aus der Vergangenheit lerne. Eine gemeinsame Kasse sei damals gegründet worden und jeder habe 0,85 % des Lohnes zur Milderung der finanziellen Not bei Invalidität und Krankheit eingezahlt. Im Jahr 1854 sei dann die Einführung der Knappschaften in Preußen und  somit erstmals eine Sozialversicherung eingeführt worden, wiederum im Bergwesen. Die Arbeitsbedingungen seien dort unerträglich gewesen und die bittere Not habe dadurch gelindert werden können.  Was man daraus gelernt habe, sei im Jahr 1889 mit der Einführung einer allgemeinen Alters- und Invaliditätsabsicherung dann auf große Fläche übertragen worden. Prof. Dr. Thüsing folgerte, dass der Ursprung der Risikoabsicherung somit aus dem Privaten käme, und nicht wie zu vermuten sei aus dem Staatlichen. Er zählte in seinem Vortrag interessante Merkmale der damaligen gesetzlichen Rentenversicherung auf: So haben alle Arbeiter zwischen 16 und 70 Jahren einzuzahlen gehabt, der Beitragssatz habe bei 1,7 % gelegen und sei je zur Hälfte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu tragen gewesen. Nach einer Beitragszahlungsdauer von 30 Jahren habe man mit 70 Jahren dann eine Rente erhalten. Dies sei keine allzu große Hängematte bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 40 Jahren gewesen.

Prof. Dr. Gregor Thüsing meinte, heute haben wir ein weiter entwickeltes System dieser privaten und sozialen Renten, wobei das Private in Hinblick auf das sinkende Rentenniveau immer mehr an Bedeutung gewinne. Schaue man sich jedoch die Verdienste der heutigen Durchschnittsverdiener und der vor 20 Jahren an, relativiere dies die aktuelle Diskussion zum Rentenniveau aufgrund der unmittelbaren Zusammenhänge. Dennoch denke er, lasse es sich zukünftig nicht vermeiden die bAV attraktiver zu gestalten, da sie eine wertvolle, kostenminimale Ergänzung zur staatlichen Rentenversicherung sei.

Zur Einstimmung in das Thema des neuen Modells der reinen Beitragszusage beschrieb Thüsing die Abhängigkeit der bAV vom Anlageerfolg am Kapitalmarkt mit der Situation der betrieblichen Altersvorsorge in den USA. Bei günstiger Entwicklung sei es mitunter lohnenswerter, sich pensionieren zu lassen, als weiter zu arbeiten. Bei einem schwierigen Markt zeigten sich jedoch die Probleme.  Und nun würde hier in Deutschland in schwierigen Zeiten ein neues Modell entwickelt, indem der Arbeitgeber Beiträge verspreche, mehr aber auch nicht. Der Gesetzgeber habe dies auch ermöglicht, um einen Rahmen zu schaffen, der internationalen Standards genüge. Insgesamt sei er der Auffassung, die Einführung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes sei richtig, um zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen. Ob diese Möglichkeiten dann genutzt werden würden, werde man sehen.

Es sei zumindest eine Erweiterung, die zusätzliche Möglichkeiten schaffe und wenn dies zu mehr bAV führe, sei dies gut und richtig.

Kritisch sehe Prof. Dr. Thüsing jedoch Formulierungen des Gesetzgebers. So seien bei Zusammentreffen von „alter“ und „neuer“ bAV Zusammenhänge zu „berücksichtigen“ und zu „prüfen“.  Danach könne man, spitz formuliert, frei entscheiden. Er empfehle jedoch froh zu sein, dass es überhaupt etwas gäbe, auch wenn es nicht komplett und vollkommen sei. Er hinterfrage auch, ob das Anlagerisiko tatsächlich das entscheidende Argument in der Vergangenheit von Arbeitgebern gegen eine bAV gewesen sei und glaube, dass nun diese Risiken zwar genommen seien, weiterhin aber das Rechtsrisiko bestünde. So gelte „pay and forget“ für die Kapitalanlage, nicht hingegen für mögliche Rechtsfehler. Gegen eine betriebliche Altersversorgung sprächen andere Gründe. Beispielsweise frage ein Arbeitnehmer sich, wozu er in eine bAV einzahlen solle, wenn diese am Ende doch nur auf die Grundsicherung angerechnet werden würde. Ob die nun geschaffenen Freigrenzen ausreichten, sei mit einem Fragezeichen verbunden.

Nicht gelöst mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz sei weiterhin das Problem der Doppelverbeitragung in der Entgeltumwandlung. Dies sei seiner Meinung nach einfach großer Blödsinn. Gut finde er hingegen die steuerliche Förderung für Geringverdiener, da diese beim Arbeitgeber ansetze und nicht bei denen, die ohnehin keine Steuern zu zahlen hätten.

Zum Ende seines Vortrages blickte Prof. Dr. Gregor Thüsing ein wenig voraus, was noch zu unternehmen sei. Die Aktivierung des Arbeitnehmers zum „rausvotieren“ sei gut, er fragte, ob dies nicht noch weiter getrieben werde könne. Zudem könne man an befristete Zusagen denken, beispielsweise für einen Zeitraum von fünf Jahren. Die Zulässigkeit eines solchen  Modells sei jedoch höchst umstritten. Prof. Dr. Thüsing wünsche sich eine gesetzliche Klarstellung. Im Laufe der Zeit sei das Betriebsrentengesetz 30-mal geändert worden, zudem gäbe es viele zu beachtende Kommentare und Rechtsprechungen. Eine Reduzierung der Komplexität täte gut. Das würde tatsächlich zu einer größeren Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge führen.

Prof. Dr. Gregor Thüsing
Prof. Dr. Gregor Thüsing, Professor der Rechtswissenschaften Universität Bonn