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Die Alterung der Gesellschaft als größte Herausforderung für das Gesundheitssystem - Interview mit PKV-Verbandsdirektor Dr. Florian Reuther

Fragen an den Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV) Dr. Florian Reuther von IPV-Vorstand Veit Oos

"Die Versicherten können sich weiterhin auf die Leistungen der PKV verlassen."

Erstellt

Geschäftsbericht 2018

Dr. Florian Reuther, Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV)

Dr. Florian Reuther studierte Rechtswissenschaften in Bonn und Köln, war danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für öffentliches Recht an der Universität Bonn und später als Rechtsanwalt und Partner einer Rechtsanwaltskanzlei in Stuttgart tätig.

Seit 2008 ist er beim Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. in Köln beschäftigt und war dort von 2009 bis 2019 Geschäftsführer und Leiter der Rechtsabteilung.

Am 1. März 2019 löste er Dr. Volker Leienbach als Verbandsdirektor ab.
Dr. Florian Reuther engagiert sich als ehrenamtliches Mitglied im Vorstand der Deutschen AIDS-Stiftung.

Dr. Florian Reuther, Direktor PKV-Verband
Dr. Florian Reuther, Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV)

Fragen an den Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV) Dr. Florian Reuther von IPV-Vorstand Veit Oos

Was sind aus Ihrer Sicht in den kommenden Jahren die größten Herausforderungen für das deutsche Gesundheitssystem?

Die beiden größten Herausforderungen sind sicherlich die Digitalisierung und der demografische Wandel. Beide bieten sowohl Chancen als auch Risiken. Und: beide Entwicklungen lassen sich nicht aufhalten. Dabei wird die Alterung der Gesellschaft der wesentliche Prüfstein für das deutsche Gesundheitssystem und seine Finanzierung.

Welche Rolle kommt der PKV bei diesen Themen zu?

Digitalisierung im Gesundheitswesen darf kein Selbstzweck sein. Im Mittelpunkt muss ganz klar ein Mehrwert für die Versicherten und die Versorgungslage stehen. Als PKV-Verband sehen wir deshalb den Wettbewerb um Best-Practice-Ansätze als wichtigen Treiber für medizinische Innovationen etwa im Bereich digitaler Gesundheitslösungen oder Servicefunktionen für die Versicherten. Neue digitale Lösungen bieten enorme Chancen, um Prozesse im Gesundheitswesen für Patienten, Ärzte und Versicherer positiv zu gestalten. Die PKV leistet einen aktiven Beitrag, indem sie als Partner durch Kooperationen und Akteur im Wettbewerb wichtige Impulse setzt.

Und was bedeutet der demografische Wandel für das Gesundheitssystem?

Die umlagefinanzierte Gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung stößt im demografischen Wandel an ihre Grenzen. Immer weniger Beitragszahler müssen immer mehr Leistungen für immer mehr ältere Versicherte bezahlen. Das stellt eine enorme Belastung für zukünftige Generationen dar, die mit steigenden Beiträgen oder höheren Steuerlasten rechnen müssen. Die PKV setzt deshalb auf eine nachhaltige Vorsorge mit kapitalgedeckten Alterungsrückstellungen. Das ist generationengerecht und verlässlich, in der Privaten Krankenversicherung ebenso wie in der Pflegeversicherung.

Stichwort Pflege – wo sehen Sie hier die größten Herausforderungen?

Auch die Nachfrage nach Pflegeleistungen wird aufgrund der demografischen Entwicklung zukünftig stark steigen. Eine qualitativ hochwertige, menschenwürdige Pflegeversorgung, ob ambulant oder stationär, kann nur durch ausreichend Pflegekräfte gewährleistet werden. Dafür muss der Pflegeberuf attraktiver werden. Dadurch nimmt dann aber auch der Kostendruck im deutschen Pflegesystem zu. Für die Versicherten wächst das Risiko, die Pflegekosten im Alter nicht tragen zu können.

"Für die Versicherten wächst das Risiko, die Pflegekosten im Alter nicht tragen zu können."
Dr. Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbandes

Kritiker des Systems wollen die Soziale Pflegepflichtversicherung deshalb zu einer „Vollkasko“ umbauen – was halten Sie davon?

Die Einführung einer umlagefinanzierten Pflegevollversicherung halten wir mit Blick auf die Generationsgerechtigkeit für unverantwortlich. Die Pflegereformen der letzten Jahre führten zu Leistungsausweitungen und ebenso zu höheren Beiträgen. Ab dem 01.01.2019 zahlt ein Durchschnittsverdiener rund 100 Euro im Monat für die Teilkaskoversicherung der Sozialen Pflegeversicherung. Mit einem Vollkaskosystem könnte sich diese Summe verdoppeln. Da ist Eigenvorsorge mit dem langfristigen Aufbau von Kapitaldeckung die weitaus bessere und günstigere Lösung. Die Versicherten können den Versicherungsschutz zudem an ihren  individuellen Bedarf anpassen und beispielsweise ihre Vermögenssituation im Alter berücksichtigen.

Wie entwickelt sich zurzeit der Markt der Privaten Krankenversicherung in Deutschland?

Wir beobachten bei der Krankenvollversicherung einen leichten Rückgang der Versichertenzahl. Das ist vor allem der guten Arbeitsmarktlage geschuldet. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten steigt, während die Zahl der Selbstständigen in den letzten Jahren abgenommen hat. Viele privatversicherte Selbstständige fallen mit dem Wechsel in ein Arbeitnehmerverhältnis in die Versicherungspflicht der GKV – ob sie wollen oder nicht. Die jedes Jahr überproportional ansteigende Versicherungspflichtgrenze schränkt die Wahlfreiheit zusätzlich ein. Die Krankenzusatzversicherungen verzeichnen ein unverändert hohes Wachstum.

Wie sieht es speziell bei der betrieblichen Krankenversicherung (bKV) aus?

Besonders erfreulich sieht das Wachstum bei der betrieblichen Krankenversicherung (bKV) aus. Die Zahl der Betriebe, die eine bKV anbieten, stieg allein zwischen Ende 2017 und Ende 2018 um knapp 24 Prozent. Die Zahl der versicherten Arbeitnehmer legte um 11,5 Prozent zu. Dieser erfolgversprechende Trend wird sich unserer Auffassung nach weiter fortsetzen. 

"Besonders erfreulich sieht das Wachstum bei der betrieblichen Krankenversicherung aus."
Dr. Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbandes

Wie erklären Sie sich dieses starke Wachstum?

Die Suche nach geeigneten Fachkräften gestaltet sich zunehmend schwieriger für Arbeitgeber. Gute Gehälter reichen oftmals nicht mehr, um Talente zu gewinnen. Hier kann die bKV einen Vorteil im Wettbewerb um die besten Köpfe bieten und dabei helfen, qualifizierte Mitarbeiter längerfristig an das Unternehmen zu binden. Die Arbeitnehmer profitieren von einem erweiterten Versicherungsschutz, der zudem aufgrund der Gruppenverträge problemlos ohne Wartezeiten und Gesundheitsprüfung gewährleistet wird. In einer Umfrage von Oktober 2018 gab gar jeder Dritte einer betrieblichen Krankenversicherung den Vorzug vor einer Gehaltserhöhung. Für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber ist das ganz klar eine Win-Win-Situation. 
 

"Für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber ist das ganz klar eine Win-Win-Situation."
Dr. Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbandes

Der Bundesfinanzhof hat sich erneut mit der Frage der steuerlichen Abzugsfähigkeit von bKV befasst. Wie ist da der neueste Stand?

Die beiden aktuellsten Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) aus dem letzten Jahr bestätigen unsere Auffassung, dass es sich bei der bKV um einen steuerfreien Sachlohn handelt. Im Übrigen hat der BFH seine Rechtsauffassungen aus vergangenen Urteilen damit erneut bekräftigt. Der Ball liegt also weiterhin bei der Finanzverwaltung, die sich aber für zwei Urteile aus dem Jahr 2011 mit einem Verwaltungserlass über die Rechtsprechung hinwegsetzte. Wir hoffen nun, dass die Finanzverwaltung von dieser Praxis Abstand nimmt und der Weg frei wird, die bKV als Sachlohn endlich anzuerkennen. 

Das Treuhänder-Verfahren der privaten Krankenversicherung hat die Gerichte beschäftigt – bis hin zum Bundesgerichtshof. Halten Sie das Treuhänder-Verfahren für reformbedürftig?

Zunächst bestätigte der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung vom 19.12.2018, dass das seit nunmehr 25 Jahren gültige Treuhänder-Verfahren rechtskonform ist. Das ist ein wichtiges Signal für die Versicherten, denn es zeigt: Die Unternehmen haben sich an die gesetzlichen Vorgaben gehalten. Dennoch setzt der PKV-Verband sich für die Novellierung des Treuhänder-Verfahrens ein. 
 

Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Es braucht zunächst mehr Treuhänder. Zudem sollte im Lichte des BGH-Urteils nun der Gesetzgeber tätig werden und die Regeln zur Beitragsanpassung insgesamt modernisieren. Im Unterschied zur Gesetzlichen Krankenversicherung, deren Beiträge jedes Jahr mit jeder Gehaltserhöhung automatisch steigen, darf die PKV die Beiträge immer erst nachträglich an die gestiegenen Gesundheitsausgaben anpassen. Durch diese gesetzliche Vorgabe kann es in PKV-Tarifen zu einem Wechsel von mehreren Jahren mit unveränderten Beiträgen und dann sprungartigen Erhöhungen kommen. 
 

Was ist zu tun?

Wir haben Vorschläge vorgelegt, um die Beitragsentwicklung zu verstetigen. Sie werden auch von Verbraucherschützern unterstützt und decken sich mit den Wünschen der Versicherten. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Versicherten lieber mehrere kleine Erhöhungen als größere Beitragssprünge nach längeren Jahresabständen will.  
 

Wie sind die Privaten Krankenversicherungen in finanzieller Hinsicht gewappnet, gerade auch in Zeiten des Niedrigzinses?

Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank setzt alle Sparer seit Jahren unter Druck. Die PKV zeigt sich trotz dieser Entwicklung in einer stabilen Lage. Die durchschnittliche Nettoverzinsung lag im Jahr 2017 bei 3,5 Prozent. Im Frühjahr letzten Jahres konnten die Rückstellungen sogar die Marke von 250-Milliarden-Euro überspringen, sie haben sich damit in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Die Versicherten können sich also weiterhin auf die Leistungen der PKV verlassen, sie sind vertraglich vereinbart und ein Leben lang garantiert – und mit soliden Kapitalanlagen nachhaltig abgesichert. 
 

Eine Frage, die uns in diesem Zusammenhang immer wieder gestellt wird: Ist bei der aktuellen Beitragsentwicklung die private Krankenversicherung im Alter auch noch bezahlbar?

Diese Sorge wird leider von dramatisierenden Medienberichten genährt, die absolut irreführend sind. Die Realität ist eine andere. Die Beiträge in der PKV sind in den letzten zehn Jahren sogar weniger stark gestiegen als in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Von 2009 bis 2019 waren es in der PKV im Schnitt 2,8 Prozent und in der GKV 3,3 Prozent pro Jahr. Eine große Langzeit-Studie des renommierten IGES-Instituts hat zudem erst 2017 wieder bestätigt, dass die PKV-Beiträge im Pensionsalter nicht höher sind als für die 60-Jährigen – und auch nicht stärker steigen, sondern eher sinken. Überdies gibt es im Alter eine Reihe zusätzlicher Entlastungen.
 

Was im Einzelnen?

Zunächst fällt nach dem 60. Lebensjahr der gesetzlich festgelegte Zehn-Prozent-Zuschlag weg, sodass auch der Beitrag entsprechend sinkt. Außerdem wirken die Alterungsrückstellungen dämpfend auf die Beitragsentwicklung. Auch die Krankentagegeldversicherung wird nicht mehr benötigt, sie macht oft einen sehr großen Teil des Beitrags aus, der im Alter wegfällt. 
 

Was können Versicherte tun, falls sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten?

Wer seinen Beitrag senken will, kann in einen anderen Tarif seines Versicherungsunternehmens wechseln, der ähnliche Leistungen zu günstigeren Konditionen anbietet. Versicherte können auch auf bestimmte Sonderleistungen wie z. B. das Ein-Bett-Zimmer oder die Chefarztbehandlung im Krankenhaus verzichten oder den Selbstbehalt erhöhen. Wer in eine finanzielle Schieflage gerät, kann sich in zwei Sozialtarifen in der PKV absichern. Für langjährig Versicherte ist das der Standardtarif, der für einen Beitrag von durchschnittlich rund 300 Euro vergleichbare Leistungen wie die Gesetzliche Krankenversicherung bietet. Privatversicherte, die ihren Versicherungsvertrag 2009 oder später abgeschlossen haben, können hingegen in den Basistarif wechseln, der ebenfalls vergleichbare Leistungen wie die GKV bietet. 

"Die Beiträge in der PKV sind in den letzten zehn Jahren sogar weniger stark gestiegen als in der Gesetzlichen Krankenversicherung "
Dr. Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbandes
Interview Dr. Florian Reuther
Interview Dr. Florian Reuther und Veit Oos
Direktor des PKV-Verbandes Dr. Florian Reuther im Gespräch mit IPV-Vorstand Veit Oos
Die Zahl der Betriebe, die eine betriebliche Krankenversicherung anbieten, stieg allein zwischen Ende 2017 und Ende 2018 um knapp 24 Prozent.
Dr. Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbandes

Die Alterung der Gesellschaft als größte Herausforderung für das Gesundheitssystem - Interview mit Dr. Reuther, Direktor PKV-Verband

Interview mit Dr. Florian Reuther - Die Alterung der Gesellschaft als größte Herausforderung für das Gesundheitssystem

Erstellt: Geschäftsbericht 2018