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Interview mit Gundula Roßbach
Aktuelles zur gesetzlichen Rentenversicherung

Veit Oos, Vorstand des Industrie-Pensions-Verein e. V., sprach mit Frau Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund. In dem Interview werden alle wichtigen Aspekte zur gesetzlichen Rentenversicherung wie Corona-Krise, Altersversorgung für Selbstständige, Einbeziehung von Beamten in die gRV oder Fragen zur Grundrente angesprochen.

Oos: Die gesetzliche Rentenversicherung ist die wichtigste Säule der Altersversorgung für die meisten Bürger in Deutschland. Welche finanziellen Auswirkungen hat die aktuelle Krise auf die Rentenversicherung?

Roßbach: Das ist mittelfristig schwer zu sagen, da die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zurzeit noch kaum abschätzbar sind. Wichtig ist aber: Die laufende Auszahlung der Renten ist gesichert. Da sich die Wirtschaft in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt hat, konnten wir Rücklagen in Höhe von rund 40 Milliarden Euro aufbauen. Wir gehen also finanziell gut ausgestattet in die Krise. Positiv für unsere Finanzen ist, dass wir von der Bundesagentur für Arbeit bzw. von den Arbeitgebern weiter Beiträge erhalten, wenn Menschen in Kurzarbeit sind oder arbeitslos werden.

Oos: Anlässlich der Finanzkrise wurde die Zahlungsverpflichtung der Arbeitgeber für die Beiträge zur Rentenversicherung vorverlegt. Wäre es aus Ihrer Sicht nicht möglich, die Fälligkeit der Zahlungen wieder auf die Mitte des Folgemonats zu verschieben?

Roßbach: Wenn die Arbeitgeberbeiträge wieder später fällig werden, würden wir dies sehr deutlich bei unseren Beitragseinnahmen spüren. Sie würden deutlich zurückgehen, nach unseren Berechnungen einmalig um bis zu 18 Milliarden Euro. Dies hätte auf längere Sicht auch einen höheren Beitragssatz zur Folge und will gut überlegt sein.

Oos: Das Rentenrecht in Ost- und West-Deutschland wird angeglichen und es wird dann ein einheitliches Rentenrecht in Deutschland gelten. Wie sind Sie auf dem Weg der Angleichung bisher vorangekommen? Halten Sie es für möglich, dass die Angleichung bei guter wirtschaftlicher Entwicklung in den neuen Bundesländern schon vor 2024 erreicht wird?

Roßbach: 2017 hat der Gesetzgeber festgelegt, dass die Renten in Ost und West einheitlich berechnet werden sollen. Die Angleichung soll in sieben Schritten erfolgen. Begonnen hat sie bereits 2018, 2024 soll sie abgeschlossen sein. Der sogenannte aktuelle Rentenwert, der eine wichtige Grundlage für die Berechnung der Renten ist, liegt im Osten zurzeit bei über 97 Prozent des Westwertes. Der größte Teil des Weges zur Angleichung ist also schon geschafft. Ob die volle Angleichung bereits vor 2024 erreicht wird, kann man auch angesichts der Ungewissheit über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise nicht zuverlässig vorhersagen.

Oos: In Bezug auf die Erwerbsminderungsrente wurde in den letzten Jahren viel getan, die Zurechnungszeit wurde schrittweise verlängert und in diesem Zusammenhang wurde eine Günstigerprüfung eingeführt. Ist das Leistungsniveau aus Ihrer Sicht damit ausreichend oder sehen Sie weiteren Bedarf?

Roßbach: In der Tat hat der Gesetzgeber gerade bei den Erwerbsminderungsrenten in dieser und in der vergangenen Legislaturperiode bereits viel getan. Die Rentenversicherung hatte dies seit längerem gefordert, denn Menschen mit einer Erwerbsminderung haben statistisch gesehen einen erhöhten Grundsicherungsbedarf. Ein weiterer Effekt sind allerdings auch mögliche Überholvorgänge im Vergleich zu vorgezogenen Altersrenten. Wir werden daher sehr sorgfältig analysieren, wie sich diese Verbesserungen konkret auswirken, bevor neue Vorschläge initiiert werden.

Oos: Seit Jahren diskutiert die Politik über eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, eine Wahlfreiheit zur Ausgestaltung der Altersversorgung zu regeln. Halten Sie die Altersvorsorgepflicht für Selbstständige und deren Einbeziehung in die gesetzliche Rente für sachgerecht?

Roßbach: Selbstständige sind überdurchschnittlich stark auf Grundsicherung im Alter angewiesen, das Risiko ist für sie rund doppelt so hoch wie für abhängig Beschäftigte. In Deutschland gibt es mehr als drei Millionen Selbstständige ohne verpflichtende Alterssicherung, oft sind das Solo-Selbstständige. Wir merken jetzt gerade auch in der Corona-Krise, wie prekär deren Lage oft ist. Es sollte deshalb eine Verpflichtung auch für Selbstständige geben, für das Alter vorzusorgen und dafür hat die gesetzliche Rentenversicherung ein gutes Leistungsspektrum.

Oos: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang eine mögliche Einbeziehung der Beamten in das System der gesetzlichen Rentenversicherung?

Roßbach: Viele Menschen fordern eine Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung, ohne Ausnahme. Dies ist zurzeit allerdings nicht auf der politischen Agenda. Ein isoliertes Vorgehen nur für Beamte, die bereits obligatorisch abgesichert sind, brächte finanziell wenig für die gesetzliche Rentenversicherung. Die Rentenkommission hat eine Einbeziehung der Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung lange diskutiert, sie deswegen aber letztlich nicht empfohlen.

Oos: Seit drei Legislaturperioden wird eine Grundrente zur Milderung vorhandener und künftiger Altersarmut gefordert. Langjährige Beitragszahler mit einer geringen Altersrente sollen einen Zuschlag erhalten. Wird aus Ihrer Sicht dadurch die Altersarmut zielgerichtet bekämpft?

Roßbach: In der aktuellen Diskussion und auch im Gesetzesentwurf wird die Grundrente eher als Anerkennung der Lebensleistung gesehen: Versicherte, die zwar viele Jahre beschäftigt waren, dabei aber relativ wenig eingezahlt haben, sollen im Alter über mehr Einkommen verfügen können als diejenigen, die eben nicht so lange gearbeitet haben. Berücksichtigt werden dabei auch Zeiten der Kindererziehung und Pflege, des Bezuges von Kranken- und Übergangsgeld sowie Ersatzzeiten. Sofern man die Grundsicherung im Alter betrachtet, bleibt festzustellen, dass von den Rentnerinnen und Rentnern, die 35 und mehr Versicherungsjahre haben, nur etwa ein Prozent zusätzlich zu ihrer Rente noch Grundsicherung erhalten. Stärker betroffen sind also diejenigen, die nicht so lange in die Rentenversicherung eingezahlt haben.

Oos: Die Grundrente widerspricht dem Grundprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung, dass Beiträge und Leistungen einander entsprechen. Erwarten Sie, dass die politisch motivierten Mehrleistungen für die Grundrente vollständig aus Steuermitteln finanziert werden?

Roßbach: Ja, inklusive der ganz beträchtlichen Verwaltungskosten, die mit der Umsetzung verbunden sind.

Oos: Die Altersversorgung in Deutschland ist auf drei Säulen aufgebaut: der gesetzlichen Rente, der betrieblichen Altersversorgung und der privaten Altersvorsorge. Die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge wird seit 2018 durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz von der Politik weiter gestärkt und gefördert. Wie sehen Sie die Entwicklung der privaten Altersvorsorge? Müsste diese ebenfalls stärker gefördert werden?

Roßbach: Wie die Mitglieder der Rentenkommission sehe ich die gesetzliche Rentenversicherung als Kern der Alterssicherung in Deutschland an. Flankiert wird die gesetzliche Rentenversicherung von den beiden anderen Säulen, deren Herausforderungen zurzeit nicht kleiner werden. Gerade die Rentenversicherung hat im Dialog mit den Anbietern, etwa zur Dynamisierung der Riester-Förderung und zur weiteren Vereinfachung des Verfahrens, vielfältige Vorschläge gemacht. Es kommt aus meiner Sicht aber auch darauf an, die Verwaltungskosten und besonders auch die Vertriebskosten der privaten Vorsorgeprodukte soweit wie möglich in Grenzen zu halten. Hier gibt es noch weiteren Verbesserungsbedarf; wie auch die Rentenkommission es in ihrem Bericht angesprochen hat.

Oos: Um den Bürgern eine bessere Übersicht über die eigene Vorsorge zu geben, soll es für jeden einen digitalen Überblick über die persönliche Altersversorgung geben. Wird diese geplante säulenübergreifende Vorsorgeinformation aus Ihrer Sicht die Anreize zum Aufbau der eigenen Altersversorgung stärken?

Roßbach: Die Vorsorgeinformation wird für die Versicherten zunächst einmal noch mehr Transparenz – weil auf einen Blick – für die Planung ihrer individuellen Altersvorsorge bringen. Das ist aus meiner Sicht sehr positiv zu bewerten. Wie die Menschen reagieren und ob sie dann mehr vorsorgen, ist sicher von der jeweiligen Lebensphase und einer ganzen Reihe anderer Faktoren abhängig. Ein Aspekt wird zum Beispiel die Vergleichbarkeit der Werte sein, die in der Vorsorgeinformation ausgewiesen werden. Um hier zu guten Lösungen zu kommen, sind wir mit dem Bundesarbeitsministerium und Vertretern der betrieblichen und der privaten Alterssicherung im intensiven Austausch.

Oos: Die säulenübergreifende Vorsorgeinformation, die Grundrente und die geplante Altersvorsorgepflicht für Selbstständige stellt die gesetzliche Rentenversicherung vor große Aufgaben im Hinblick auf die elektronische Datenverarbeitung. Wie weit fortgeschritten ist der Stand Ihres Digitalisierungsprozesses?

Roßbach: Die Digitalisierung ist ein elementarer Baustein der Zukunfts- und Leistungsfähigkeit der Deutschen Rentenversicherung. In der aktuellen Situation mit Corona spüren wir das so deutlich wie nie zuvor. In vielen Bereichen sind wir auch schon sehr weit, etwa beim europäischen Datenaustausch, bei den Verfahren der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen oder der elektronisch unterstützten Betriebsprüfung, um nur einige zu nennen. Dort, wo es möglich ist, haben wir gegenwärtig auf Homeoffice und für unsere Versicherten auf Video- beziehungsweise Chatberatung umgestellt. Und wir merken auch deutlich, dass unsere Online-Dienste immer stärker nachgefragt werden. Gerade hier aber - an der Schnittstelle zu unseren Kundinnen und Kunden - zeigen sich aber auch die besonderen Herausforderungen für die Rentenversicherung als Teil der kritischen Infrastruktur: der Sozialdatenschutz und die IT-Sicherheit haben höchste Priorität. Dies mit einfachen Zugangswegen für die Bürgerinnen und Bürger zu realisieren, ist eine hochkomplexe Angelegenheit.

Oos: Die demografische Entwicklung stellt das Rentensystem in Deutschland und insbesondere die gesetzliche Rentenversicherung in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen. Ist aus demografischen Gründen mittelfristig eine weitere Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters nicht zwingend? Wie beurteilen Sie die Ergebnisse der Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“?

Roßbach: Die demografische Entwicklung betrifft alle Alterssicherungssysteme. In der gesetzlichen Rentenversicherung dauert es noch bis ins Jahr 2031, bis die Rente mit 67 vollständig umgesetzt ist. Das Alter, in dem die Menschen tatsächlich in Rente gehen, ist in den letzten Jahrzehnten deutlich angestiegen. Es liegt im Moment im Durchschnitt bei 64 Jahren. In den letzten 20 Jahren hatten wir einen klaren Trend zu längerem Arbeiten. Es ist gut möglich, dass sich das in den nächsten Jahren fortsetzt. Ich teile daher den Vorschlag der Rentenkommission, nicht heute, sondern erst Mitte dieses Jahrzehnts eine weitere Anhebung der Altersgrenzen zu prüfen. Dann haben wir aktuellere Erkenntnisse und es bleibt immer noch ausreichend Zeit, um die Weichen für die weitere Zukunft nach 2031 zu stellen.

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Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund
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Veit Oos, Vorstand des Industrie-Pensions-Verein e. V.

Lebenslauf von Gundula Roßbach

  • 1983-1986 Vorbereitungsdienst für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst
  • 1986-1988 Tätigkeit als Verwaltungsinspektorin
  • 1988-1993 Studium der Rechtswissenschaften in Bonn
  • 1993-1995 Referendariat am Oberlandesgericht Koblenz
  • 1996-1997 Sozialreferentin beim Landkreistag Brandenburg
  • 1997-2003 Beginn der Tätigkeit bei der ehemaligen BfA in einer Leistungsabteilung, danach Grundsatzabteilung und Referat der Geschäftsführung
  • 2003-2004 stellvertretende Leiterin der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) und Referatsleiterin
  • 2004-2006 Abteilungsleiterin Prüfdienst
  • 2006-2009 stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg
  • 2009-31.03.2014 Erste Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg
  • seit 01.04.2014 Mitglied des Direktoriums bei der Deutschen Rentenversicherung Bund
  • seit 01.01.2017 Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund

Quelle: Deutsche Rentenversicherung Bund

Erstellt: Mai 2020