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Nur wer sich ändert, bleibt sich treu - Gewandelte Rechtsprechung zur betrieblichen Altersversorgung

„Wenn Sie sich über Juristen ärgern (…), dann zürnen Sie Ihnen nicht, wenn sie Ihnen zur betrieblichen Altersversorgung nie eine präzise Antwort geben können.“ Mit diesem Worten bezieht sich Prof. Dr. Gregor Thüsing, Professor der Rechtswissenschaft der Universität Bonn, in seinem Vortrag auf eines der wenigen ihm bekannten Rechtsgebiete, bei denen er sich unsicher des Ausgangs ist, da es in der Handhabung der Gerichte so schwer zu prognostizieren sei.

In seinem humorvollen Vortrag erläutert Prof. Dr. Thüsing, wieso es Juristen insbesondere in der betrieblichen Altersversorgung so schwerfällt, sich wirklich präzise zu äußern und festzulegen. Hierzu gab er einen grundsätzlichen Blick auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung, die er mit konkreten Beispielen untermauerte.

Zu Beginn erläuterte Prof. Dr. Thüsing anhand einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) zu zukünftigen Einschnitten bei der Versorgung von Gewerkschaftsmitarbeitern, dass diese so nicht zu prognostizieren gewesen sei und wie sich das Gericht zum Ersatzgesetzgeber entwickelt habe. Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung lasse sich, wie auch schon vor der gesetzlichen Regelung der betrieblichen Altersversorgung durch das Betriebsrentengesetz im Jahr 1974, vom Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB leiten. Das sei nicht falsch – mache sie aber schwer vorherzusagen.

Häufige Punkte, über die sich die beteiligten Parteien in der betrieblichen Altersversorgung vor Gericht stritten, seien die Informationspflichten des Arbeitgebers, die Auslegung des von den Parteien Gewollten sowie die Wirksamkeit des Gewollten. Anhand ausgewählter Entscheidungen unterschiedlicher Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit zu den Informationspflichten machte Prof. Dr. Thüsing deutlich, „was man aus § 242 BGB alles machen kann“.

Die Möglichkeiten der legitimen Auslegung sei im deutschen Recht begrenzt. Bei der betrieblichen Altersversorgung sei der Deutungsspielraum jedoch zu breit, um sicher prognostizierbar zu sein. So gebe es Fälle, in denen Regelungen nur berücksichtigt werden können, die den Sachverhalt klar erkennbar und ohne jeden Zweifel beschreiben (z.B. Anrechnung anderweitiger Bezüge). In anderen Streitfällen werde eine Entscheidung gegen den Wortlaut einer Versorgungsregelung getroffen, wie dies zum Beispiel beim dynamischen Verweis des Rentenbeginnalters von 65 Jahren auf die Regelaltersgrenze der Fall war.

Weitere Beispiele schwer prognostizierbarer Entscheidungen der Arbeitsgerichte lieferte Prof. Dr. Thüsing in Verbindung mit der Wirksamkeit von Regelungen zur Hinterbliebenenversorgung von Ehegatten. Hierbei sei die Hinterbliebenenleistung auf die Ehefrau, die zum Zeitpunkt der Zusageerteilung mit dem Versorgungsberechtigten verheiratet war bzw. auf die namentlich benannte Ehefrau begrenzt worden. In beiden Fällen seien die Versorgungsberechtigten unzulässig benachteiligt worden und somit die Regelung nichtig.

Seinen Vortrag fasste Prof. Dr. Thüsing mit den folgenden Worten zusammen: „Mir ging es heute darum, zu sagen, dass die betriebliche Altersversorgung in der Handhabung der Gerichte eben sehr schwer vorherzusagen ist. Ich kenne wenig Rechtsgebiete, wo ich mir so unsicher bin in der Aussage, was am Ende rauskommen wird.“

Dies sei nicht tröstlich, aber möglicherweise erwachse daraus auch eine Chance, wenn man das damit einhergehende Risiko kenne und wisse, dass sich der dritte Senat des BAG im Zweifel bei seinen Entscheidungen davon leiten ließe, was er für eine angemessene Lösung und für den Arbeitnehmer als zumutbar hielte.

In der anschließenden Fragerunde ging Prof. Dr. Thüsing auf das reformierte Nachweisgesetz ein, das auch auf die betriebliche Altersversorgung ausstrahlt. Der deutsche Gesetzgeber habe die europäischen Vorgaben in Bezug auf das Schriftformerfordernis übererfüllt und er lasse keinen elektronischen Nachweis zu. Er halte dies nicht durch ein Mehr an Arbeitnehmerschutz gerechtfertigt.

Prof. Dr. Thüsing nutzte die verbleibende Zeit, selbst eine Frage an das Auditorium zu richten. Er stellte die These auf, dass Arbeitgeber durch die rechtliche Unberechenbarkeit in Bezug auf eine Änderung von vorhandenen Zusagen für die Zukunft Berührungsängste entwickeln und eher die Finger davon lassen würden. Nach Zustimmung der Teilnehmer werde er dies gegenüber der Politik weiter so vertreten, denn es könne von der Politik erwartet werden, dass gute Vorschläge, die zu mehr Rechtssicherheit führen, auch umgesetzt würden.

Aufgrund der deutlich gestiegenen Inflation erwartet Prof. Dr. Thüsing eine deutliche Zunahme von Verfahren im Zusammenhang mit der Anpassung von Betriebsrenten. In Anbetracht der schwer prognostizierbaren Entscheidungen auch zum einschlägigen Paragraf 16 des Betriebsrentengesetzes würde er als Arbeitnehmeranwalt im Zweifel eine Klage empfehlen.

Als letztes ging Prof. Dr. Thüsing auf Nachfrage noch auf eine brandaktuelle Entscheidung des BAG zu den Aufzeichnungspflichten der Arbeitszeiten der Arbeitnehmer ein. Er kritisierte, dass die Entscheidung ohne Not und in der Kenntnis getroffen worden sei, dass die Regierung für den Oktober eine gesetzliche Regelung zur Umsetzung eines entsprechenden Urteils des Europäischen Gerichtshofes vorlegen will. Auch die aus der Pressemeldung hervorgehende Begründung des Urteils sei für ihn nicht stichhaltig.

Damit geht der kurzweilige und informative Vortrag zu Ende. Prof. Dr. Thüsing wird mit viel Beifall verabschiedet.

Prof. Dr. Thüsing - Jahrestagung 2022
Prof. Dr. Gregor Thüsing, Professor der Rechtswissenschaft der Universität Bonn
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13. Jahrestagung der IPV-Akademie - ein voller Erfolg!

Über 180 Teilnehmer durfte Veit Oos, Vorstand des IPV, am 15. September 2022 auf der 13. Jahrestagung der IPV-Akademie in der eindrucksvollen und geschichtsträchtigen Atmosphäre der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt begrüßen - zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder in Präsenz.