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Unkonventionelle Geldpolitik und die Folgen für die Altersvorsorge

Vortrag von Prof. Dr. Michael Hüther - Jahrestagung der IPV-Akademie 2015

Die Politik stehe global vor den gleichen Herausforderungen. Welche angemessenen Antworten gäbe es auf ein derzeitiges niedriges Wachstum, niedrigen Realzins und eine niedrige Inflation?

Diesen Zusammenhang veranschaulichte Prof. Dr. Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e.V. in seinem Vortrag. Der Hauptredner der diesjährigen Jahrestagung der IPV-Akademie zeigte, welche Konsequenzen die derzeitige Zins- und Geldpolitik auf das Sparvolumen für ein Gesamtversorgungsniveau in der Rentenphase haben würde und welche politischen Maßnahmen hier erforderlich wären.

Die Politik stehe global vor den gleichen Herausforderungen. Welche angemessenen Antworten gäbe es auf ein derzeitiges niedriges Wachstum, niedrigen Realzins und eine niedrige Inflation? Es sei jedoch keine geldpolitische Diskussion, sondern auch eine Diskussion über Realzusammenhänge, schließlich habe ein Realzins Richtung null nichts mit Geldpolitik zu tun. Die relevanteste Begründung eines positiven Realzinses sei nämlich die Minderschätzung künftiger Bedürfnisse. Ein Zins sei die Konsequenz für heutigen Konsumverzicht und entgelte diesen. Wenn die Bedeutung des heutigen Konsums, die der Zukunft entspräche, sei ein Realzins von null durchaus angemessen.

Ökonomen stünden vor einem Rätsel, so Prof. Dr. Michael Hüther. Der Krisenmodus hielte trotz hoher Beschäftigung und hohen Bruttoinlandsprodukts weiter an. Die Delle in der Industrieproduktion sei zwar überwunden, was eine hohe Beschäftigungsintensität zeige. Dies jedoch täusche über die Tatsache hinweg, dass die Folgen der ersten globalen Finanzkrise in der Zeit liberalisierten Kapitalverkehrs und deregulierter Finanzmärkte weiter belasten. So zu sehen in der Risikopräferenz durch die untypische hohe Liquiditätshaltung in deutschen Unternehmen, begründet in dem Misstrauen gegenüber dem Finanzsektor.

Eine zweite Herausforderung sei die Neuformierung der Globalisierung. Prof. Dr. Michael Hüther berichtete, dass in den letzten 25 Jahren der Antrieb der Weltwirtschaft mit einem heutigen Investitionsanteil in Höhe von 50 % von den Emerging Markets  ausgegangen sei. Somit sei der globale Investitionsboom vor allem durch die Schwellen- und Entwicklungsländer getragen. Nimmt man jedoch China aus der Betrachtung heraus, bleibe nicht mehr viel übrig. Aktuell käme das Erfolgsmodell China an seine Grenzen, vorliegend seien Arbeitskostenvorteile erodiert. Chinas nächster Entwicklungsschub müsse durch eigene Innovationen erfolgen.

Als dritten Punkt nannte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e.V. die veränderte Rolle der Banken als Betroffene und Verursacher der Krise. Mit diesem Hintergrund seien alle politischen Initiativen ein Antwortversuch auf nicht angemessen vorhandene funktionierende Finanzintermediation. Es bestehe Investitionsbedarf. Jedoch sind die Leute zu risikoavers. Die Sparer hätten genug Geld, es käme jedoch nicht bei den Investoren an. Dies bedeute, es klemme irgendwo. Es bestünde die Frage, wie weit die der Europäischen Zentralbank zur Verfügung stehende Maßnahmen ankämen. Die Folge der Krise sei eine anhaltende Finanzrezession mit unverändertem Bedarf an Bilanzbereinigungen und das wirke sich letztlich auf die Geldpolitik aus. Zwei Dinge wirken dennoch einem Schuldenabbau entgegen, das sei zu einem das Potentialwachstum und zum anderen die Preisniveauentwicklung. 

Was müsse also die Notenbank tun, fragte Prof. Dr. Michael Hüther. Sie sei nur einmal, nämlich durch die Maastricher Verträge, legitimiert worden und hätte als Ziel die Sicherung der Preisniveaustabilität zu erhalten. Und dies mit einer in 2003 festgelegten Inflationsrate im Raum zwischen 1,7 und 1,9 %. Wenn die EZB dies nicht dauerhaft erreiche, hätte sie ein Legitimationsproblem. Üblicherweise denke man nun an Zinspolitik, ein Nullzins sei jedoch ein gravierendes technisches Problem, sodass die gewünschten Effekte ausblieben. Wäre die Zinsschraube nicht mehr drehbar, müsse die Geldmenge angepasst werden. Normalerweise sei der Geldmantel so geschneidert, dass er Raum für Wachstum und Inflation biete. Seit 2009 habe sich das nun verändert. 

Seit Januar 2015 würde nun 1 Billion Euro ins System fließen, mit der Hoffnung auf ein Einwirken auf die Inflation. Letztlich sei auch durch den Einfluss von Rohstoff- und Ölpreisen das Ergebnis offen. Somit stecke die Notenbank in einem Dilemma, aus dem es nur durch Strukturreformen in den europäischen Volkswirtschaften einen Ausweg gäbe. 

Welche Auswirkungen würde nun diese Situation auf die Altersvorsorge haben?  Prof. Dr. Michael Hüther betonte, dass sich das niedrige Niveau der Geburtenrate weiterhin negativ bis ins Jahr 2050 auswirke, bevor Stabilität eintrete. Die großen Hebel seien hier Zuwanderung und Rentenzugangsalter. Bei einem Verzicht auf die Rente mit 67 würde mindestens eine Zuwanderung von 430.000 Menschen jährlich notwendig sein. An zweiter Stelle relevant sei die ständig steigende Rentenbezugsdauer.

Nötig wären Anpassungen in den einzelnen Systemen zur Erreichung einer Gesamtversorgungsleistung. Die gesetzliche Rentenversicherung biete nach kontinuierlichem Absinken im Jahr 2030 nur noch ein Versorgungsniveau von 40 % und somit natürlich keine Lebensstandardsicherung mehr. Folglich müsse die betriebliche Altersversorgung und private Vorsorge gestärkt werden. Fortschritt sei durch eine  automatische Koexistenz der Systeme und Ausschöpfen ihrer Förderungen zu erreichen.

Hier führte er auch die Riester-Rente an, deren Verträge derzeit nur zu 80 % aktiv, größtenteils im Rahmen von Versicherungen, bespart würden. Wenn die bestehende Förderfähigkeit von 4 % ausgeschöpft werden würde, führe dies bis 2030 zu einem Gesamtversorgungsniveau von 49,3 %, mit der Voraussetzung, dass die Spielräume der steuerlichen Förderungsbedingungen des Alterseinkünftegesetzes genutzt und die Ersparnisse in ein höheres Sparvolumen eingebracht werden würden. Dieses Gesamtversorgungsniveau sei schließlich entscheidend und nicht mehr ein Eckrentenniveau.

Was die derzeitige Geld- und Zinspolitik für die kapitalgedeckte Versorgung bedeute, stellte Prof. Dr. Michael Hüther in einer Rechnung mit einem Anlagehorizont von 30 Jahren, einer Sparquote von 9,4 % eines Jahresnettos in Höhe von 42.214 EUR dar. Bei gleichem Sparziel müssten Haushalte bei einem Niedrigzins von 0,5 % auf Konsum in Höhe von knapp 12.000 EUR im Vergleich zu einem Zins von 3 % verzichten. Um das Vorzinsniveau aufrecht zu halten, bedeute dies gesamtwirtschaftlich bei 40 Millionen Haushalten ein zusätzliches Sparvolumen von 480 Milliarden.

Er rät der Regierung, bevor sie neue Konstrukte erfände, die betriebliche Altersversorgung von Hürden zu befreien, indem zuerst der steuerliche Rückstellungszins dem handelsrechtlichen angenähert werde und die vorhandene Ungerechtigkeit damit beseitigt werden würde. Denn unter den jetzigen Umständen seien Unternehmen belastet, indem sie den zusätzlichen Rückstellungsbedarf nicht geltend machen könnten. Eine Belebung der bAV sei durch eine einzige Paragraphenänderung möglich, die schließlich zu der notwendigen Mobilisierung im System führen würde.

Die Notenbank werde tatenlos bleiben, solange sich nicht die Inflationserwartung in einem höheren Niveau stabilisiert habe. Hinweise sieht Prof. Dr. Michael Hüther derzeit in keinem Indikator. In den Problemländern Europas müssten konsequent Strukturreformen her. Es sei eher unwahrscheinlich, dass Wachstumsraten aus der Zeit vor der Krise erreicht würden. Die Frage sei, welche Innovationen denn Investitionen auslösen könnten; der derzeitige technische Fortschritt sei eher kapitalsparend. Die Digitalisierung der Wirtschaft habe nicht zwingend hohen Kapitalbedarf, folglich gäbe es keinen gesamtwirtschaftlichen Effekt durch die IT. 

Prof. Dr. Michael Hüther beendete seinen Vortrag mit dem Vorschlag einer schonenden Zinswende mit zehn Basispunkten pro Schritt. Mittels eines langen Pfades anstelle eines Zinssprunges gäbe es andere Anpassungsmöglichkeiten für die Bilanzen der Länder. Dies könne er sich bereits für das Jahr 2016 vorstellen, im Ergebnis würde es aber länger bei diesem Niedrigzinsumfeld bleiben.

Prof. Dr. Michael Hüther
Prof. Dr. Michael Hüther, Direktor, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.