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/ Der IPV im Gespräch

Interview mit Gitta Connemann, MdB

Stand: 6. Februar 2025

Christian Kiefer, Vorstand des Industrie-Pensions-Verein e. V., sprach mit Gitta Connemann, MdB – Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Unterems und Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT)

Rente, Wirtschaft, Mittelstand – Deutschland muss umdenken und neu berechnen

Frau Connemann, Sie engagieren sich seit Jahren für den Mittelstand und die ländlichen Regionen. Was sind aktuell Ihre wichtigsten politischen Schwerpunkte?

Standort, Standort, Standort. Schon Ludwig Erhard wusste: „Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts.“ Aber unsere Betriebe senden S.O.S. – egal, ob in der Stadt oder auf dem Land. Dabei handelt es sich nicht um Klagelieder, sondern um eine Reaktion auf den Status Quo. Die deutsche Wirtschaft schrumpft. Unternehmen wandern ab oder verlagern ihre Produktion. Ausländische Investoren halten sich fern. Der Standort verliert jeden Tag an Attraktivität. Deshalb müssen wir die Rahmenbedingungen so ändern, dass Deutschland wieder wettbewerbsfähig wird. Wir wissen, dass wir sofort handeln müssen. Und legen deshalb auch den Fokus in unserem Wahlprogramm auf einen Wechsel in der Wirtschaftspolitik, auf eine Wirtschaftswende. Deutschlands Betriebe und Arbeitnehmer haben das Potential. Aber wir müssen es wieder heben. Wir müssen ermöglichen, ermutigen, vertrauen.

 

Der Mittelstand wird oft als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bezeichnet. Welche konkreten Maßnahmen plant die CDU, um kleine und mittelständische Unternehmen in Zeiten der Unsicherheit zu unterstützen?

Rückgrat trifft es. 99 % unserer Betriebe sind kleine oder mittlere Unternehmen, die über die Hälfte der Arbeitnehmer beschäftigen. Aber der Mittelstand steht immer mehr unter Druck. Höchste Steuern, Mitarbeitermangel, explodierende Energiekosten und überbordende Bürokratie schwächen die Betriebe massiv. Wer ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und damit unseren Wohlstand sichern will, muss deshalb genau dort ansetzen. Deswegen wollen wir die Unternehmensbesteuerung auf 25 % senken – rechtsformunabhängig. Damit Fleiß sich wieder im Geldbeutel niederschlägt, wollen wir Arbeitnehmer und Einzelunternehmer bei der Einkommensteuer entlasten, indem wir die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz erhöhen, die kalte Progression abschaffen, Überstundenzuschläge steuerfrei stellen. Wer arbeitet muss mehr haben, als jemand, der nicht arbeitet. Deshalb wird das sogenannte „Bürgergeld“ abgeschafft und durch eine neue Grundsicherung ersetzt. In der Energiepolitik kommen wir zum Dreiklang Versorgungssicherheit, Klimafreundlichkeit, Bezahlbarkeit zurück. Für niedrige Energiepreise muss jede Kilowattstunde ans Netz – technologieoffen und ideologiefrei. Wir brauchen den Zubau Erneuerbarer Energien – aber synchronisiert mit dem Netzausbau. Bioenergie ist uns ebenso willkommen wie Windkraft oder Solarpanele. Wir erhalten die Option Kernenergie und suchen Allianzen mit Staaten mit ebensolcher. Wer Energie einspart, darf wieder auf vernünftige Förderprogramme hoffen. Das Heizungsgesetz der Ampel gehört nicht dazu. Wir senken Stromsteuern und Netzentgelte. Der Rückbau von Bürokratie durch Abschaffung von Bürokratiemonstern wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, die Reduzierung von Berichtspflichten und Beauftragten, mittels Auslauffristen für Gesetze, die Selbstverpflichtung zur ausschließlichen 1:1-Umsetzung in Deutschland setzt Zeit und Kraft frei und entlastet finanziell. Dieses Konjunkturprogramm kostet den Staat nichts, schenkt aber den Betrieben vertrauen. 

 

Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach Innovation und Digitalisierung im Mittelstand, und wie kann die Politik diese Entwicklungen fördern?

Innovationen sind im Mittelstand zu Hause. Die vielen sogenannten „Hidden Champions“, also mittelständische Weltmarktführer, stehen dank ihrer innovativen Produkte an der Spitze. Deutschland ist nach wie vor ein Land des Wissens. Aber es gibt keine Brücke für den strukturellen Transfer zwischen Forschung und wirtschaftlicher Anwendung. Diese Lücke muss national geschlossen werden. Die Forschungsförderung entbürokratisiert werden – durch die Vereinfachung der – digitalen – Antragstellungen sowie der Nachweis- und Berichtspflichten. Förderkriterien müssen standardisiert werden. Forschung und Entwicklung brauchen Geld. Wir halten deshalb am Ziel von 3,5 % des BIP fest. Die Digitalisierung ist dabei unverzichtbar. Dafür setzen wir auf einen pragmatischen Datenschutz statt Totregulierung. Deshalb wollen wir einen Neuanfang bei der DSGVO und eine Begrenzung bei der Umsetzung des AI-Acts. Politik muss wieder mehr Vertrauen in Bürger und Unternehmen setzen. Innovation darf nicht im Keim erstickt werden. 

 

 

Die Versorgung Selbständiger ist ein immer wieder diskutiertes Thema. Wie steht die CDU zur Einführung einer verpflichtenden Altersvorsorge für Selbständige?

Selbständige sind die Unterschätzten der deutschen Wirtschaft: Soloselbständige, Freiberufler, Kleinunternehmen stehen für 89 Prozent aller Unternehmen in Deutschland. Dennoch werden sie häufig vergessen. Die Ampel hat ihnen viel versprochen, aber nichts geliefert. Hohe Rechtsunsicherheit, Bürokratie und ein weit verbreitetes negatives Narrativ machen die Selbständigkeit unattraktiv. Deutschland gefährdet damit sein Wirtschaftswachstum und die offene Gesellschaft.

Laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) haben sich für jeden Zweiten die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihre Selbständigkeit verschlechtert. Dies betrifft vor allem das Statusfeststellungsverfahren. Die Vorgaben der DRV, die von Sozialgerichten unterschiedlich interpretiert werden, haben die Rechtsunsicherheit erhöht. Das Damoklesschwert der nachträglichen Feststellung einer Scheinselbständigkeit schreckt Auftraggeber ab. Die Folge: Mehr Zeitarbeit und Verlagerung ins Ausland. Selbständige verdienen mehr Respekt und Rechtssicherheit für ihre Lebensentscheidung. Deshalb wollen wir das Statusfeststellungsverfahren im Sinne der Selbständigen und Unternehmen reformieren. Zentrale Elemente sind dafür aus Sicht der MIT mehr Rechtssicherheit und schnellere Verfahren. Eine Möglichkeit wäre für die MIT auch: Wer als Soloselbständiger eine ausreichende Vorsorge hat, insbesondere nachweist, dass er im Alter aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf Grundsicherung angewiesen sein wird, soll leichter seine Selbständigkeit nachweisen könne.

Um das Risiko von Altersarmut zu reduzieren, wollen wir als Union eine verpflichtende Altersvorsorge für die Selbständigen einführen. Aber nur für diejenigen, die bislang nicht auf andere Weise ausreichend abgesichert sind. Durch einfache und bürokratiearme Lösungen sollen auch Selbständige stärker ins Vorsorgesystem integriert werden. Aber die Betroffenen dürfen nicht auf eine einzige Kategorie an Vorsorgeformen beschränkt sein. Aus Sicht der MIT muss eine Auswahl an Alternativen zur Verfügung stehen. Zur Freiheit der Selbstständigkeit gehört auch die Freiheit der Entscheidung, wie für das Alter vorgesorgt werden soll. 

 

Welche Modelle halten Sie für geeignet, um Selbständigen eine ausreichende soziale Absicherung zu ermöglichen, ohne deren unternehmerische Freiheit zu beeinträchtigen?

Selbstständige sind eine der heterogensten Gruppen in der deutschen Arbeitswelt. So vielseitig wie ihre Berufsbilder sind auch die Anforderung an die Absicherung im Alter. Die meisten von ihnen sorgen bereits hinreichend vor. Rund 60 Prozent aller Selbstständigen in Deutschland verfügen über Immobilien- und Anlagevermögen von mindestens 100.000 Euro. Rund die Hälfte aller Selbstständigen hat Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung. Noch einmal: Auch weiterhin sollen Selbständige eine echte Wahl zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen Vorsorgearten haben. Selbstverständlich ist natürlich: Neuregelungen dürfen nur für künftige Selbstständige gelten, um nicht Altersvorsorge-Entscheidungen und Planungen bereits heute Selbstständiger zu konterkarieren. Für Selbstständige muss gelten: Vorsorgepflicht statt Pflichtversicherung.

 

Altersarmut ist in Deutschland ein wachsendes Problem. Welche politischen Initiativen sehen Sie als notwendig, um eine gerechtere Altersversorgung sicherzustellen? 

Deutschland braucht Wachstum. Für ein starkes und stabiles Rentensystem muss unser Land wirtschaftlich wieder Fahrt aufnehmen. Je mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, desto sicherer die sozialen Sicherungssysteme und damit auch die Rente. Wir setzen zudem auf ein umfassendes Konzept aus frühzeitiger Vorsorge, steuerlichen Anreizen und Eigenverantwortung. Dazu gehören Maßnahmen wie der Kapitalaufbau für Kinder durch die Frühstart-Rente, die Altersvorsorge für Selbständige, Anreize für längeres Arbeiten durch die Aktivrente, der Vermögensaufbau durch steuerliche Vorteile in Gestalt der Mitarbeiterkapitalbeteiligung, Vermögensbildungsprämie und vermögenswirksame Leistungen sowie durch die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge. 

 

Wie kann die Politik Unternehmen, insbesondere KMUs, dabei unterstützen, ihren Mitarbeitern bessere betriebliche Vorsorgeangebote zu machen, und welche Hürden stehen derzeit der Einführung der betrieblichen Altersversorgung in kleineren Unternehmen im Weg?

Die Altersvorsorge der Zukunft funktioniert nur mit drei starken Säulen: gesetzliche Rentenversicherung, betriebliche und private Altersvorsorge. Mit der Betriebsrente können Lücken im Alter geschlossen werden. Bislang ist der Schub für die betriebliche Altersvorsorge aber ausgeblieben. Gerade kleinere Betriebe befürchten Haftungsrisiken, hohe Kosten oder schlechte Beratung bei der Vertragsgestaltung. Dabei bietet ein bAV-Vertrag gerade für KMUs ein Mittel für die Gewinnung und die Bindung von Mitarbeitern. Deshalb wollen wir insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen dabei unterstützen, ihren Mitarbeitern Vorsorgepläne anzubieten. Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern. Dies geht nur, indem der administrative Aufwand minimiert und Haftungsrisiken für Arbeitgeber reduziert werden. Aus Sicht der MIT sollte das sogenannte Sozialpartnermodell auch für nicht-tarifgebundene Unternehmen geöffnet werden. Der pauschale Ruf nach mehr Arbeitgeberbeiträgen oder einer gar vollständigen Arbeitgeberfinanzierung ist aber in jedem Fall der falsche Weg. Denn immer weiter steigende Arbeitskosten kosten weitere Wettbewerbsfähigkeit.

 

Die Versorgungslücke, also die Differenz zwischen zu erwartender Rente und tatsächlichem Bedarf, wird oft unterschätzt. Welche Maßnahmen schlägt die CDU vor, um diese Lücke effektiv zu schließen?

Leistung muss sich lohnen. Wer bereit ist, nach dem Eintritt in die gesetzliche Rente weiterzuarbeiten, muss das im Geldbeutel spüren. Wir setzen deshalb auf die sog. Aktivrente. Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, erhält einen Steuerfreibetrag in Höhe von 2.000 Euro monatlich. Darüber hinaus heben wir die Hinzuverdienstgrenze bei Witwenrenten deutlich an.

 

 

Wie können junge Menschen dazu angeregt werden, frühzeitig für ihre Altersvorsorge aktiv zu werden?

Eine unserer zentralen Neuerungen ist die Frühstart-Rente. Wir planen, für jedes Kind zwischen 6 und 18 Jahren monatlich 10 Euro in eine kapitalgedeckten Altersvorsorge einzuzahlen. Eltern können diesen Betrag freiwillig aufstocken. Damit wollen wir frühzeitig einen Grundstein für die private Altersvorsorge legen – unabhängig vom Elternhaus. Jedes Kind soll von Zins- und Renditeeffekten profitieren können. Für uns als MIT ist wesentlich, dass das Altersvorsorgedepot privatwirtschaftlich organisiert wird.

 

Wenn Sie einen Wunsch für die politische Zukunft Deutschlands äußern könnten, was wäre das wichtigste Ziel, das Sie in den kommenden Jahren erreichen möchten?

Unsere 3,3 Millionen Betriebe brauchen wieder Planungssicherheit. Sie wollen keine Zuschüsse, sondern Rahmenbedingungen, auf die Verlass ist – über das Ende von Wahlperioden hinaus. 

 

Der Fachkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft. Welche Strategien verfolgt die CDU, um dem entgegenzuwirken, besonders im Mittelstand?

Der Mangel an Mitarbeitern – und damit sind nicht nur Fachkräfte gemeint – ist inzwischen ein Hemmschuh für viele Betriebe – vom Handwerk bis zu den freien Berufen. Angesichts der demografischen Entwicklung wird sich dieser weiter verschärfen, wenn nicht gegengesteuert wird. Dazu müssen wir alles daransetzen, dass diejenigen, die heute arbeiten, es auch weiter tun. Sie brauchen mehr Netto vom Brutto. Diejenigen, die außerhalb des Arbeitsmarktes stehen, müssen zur Arbeitsaufnahme motiviert werden. Dafür werden wir das Bürgergeld durch eine neue Grundsicherung ersetzen. Für Erwerbszuwanderer wollen wir mit einer „Work-and-Stay-Agentur“ die Verfahren schneller und digitaler machen – von der Visavergabe über den Aufenthaltstitel bis zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen. Auf Antrag der MIT hat die CDU zudem beschlossen, das Beschäftigungsverbot in der Zeitarbeit für Drittstaatsangehörige aufheben zu wollen. Es geht dabei nicht nur um die Bekämpfung des Fachkräftemangels, sondern auch um die Nutzung bewährter Strukturen und Expertise in der Wirtschaft. Zeitarbeitsunternehmen könnten damit zu einem Schlüsselakteur für eine gesteuerte Arbeitsmigration aus Drittstaaten werden.


© IPV Industrie-Pensions-Verein e. V.
Stand: 6. Februar 2025
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